TK-Unternhemen

Was kommt nach der klassischen IT?

Ausgabe 12/2014

Mit dem Trend zur Cloud sorgt sich die deutsche ITK-Branche um ihr 
Geschäftsmodell. Bei Hewlett-Packard, T-Systems und sogar SAP werden Arbeitsplätze abgebaut. Arbeitnehmervertreter berichten. Von Carmen Molitor

In Zeiten, in denen die digitale Technik dafür sorgt, dass überall rationalisiert, beschleunigt und optimiert werden kann wie noch nie, sollten die Jobs bei den Rationalisierern, Beschleunigern und Optimierern eine sichere Bank sein. Denkt man. Doch selbst beim deutschen Softwaregiganten SAP stehen erstmals in der 42-jährigen Firmengeschichte 260 Arbeitsplätze auf der ­Kippe, werden betriebsbedingte Kündigungen nicht ausgeschlossen. 

Dabei meldete der Hightech-Verband BITKOM im Oktober einen neuen Beschäftigungsrekord: Demnach sind 9 530 000 Menschen bei Unternehmen der Informationstechnologie und Telekommunikation beschäftigt, fast 10 000 mehr als Ende 2013. „Digitalisierung ist der entscheidende Innovationstreiber für alle Sektoren“, jubelte der Branchenverband. 41 000 IT-Fachkräfte würden gesucht. Jobmaschinen sind vor allem kleine und mittelständische Unternehmen, sie bieten jeden zweiten Arbeitsplatz in der Branche. 

Beschäftigte von großen ITK-Unternehmen sorgen sich dagegen längst um ihren Job. Branchengrößen geraten ins Trudeln, weil ihnen die Digitalisierung gewohnte Geschäftsmodelle kaputtmacht und ihnen nicht schnell genug Alternativen einfallen. „Wir stellen fest, dass alle größeren ITK-Unternehmen Personal abbauen“, sagt Michael Jäkel, der als ver.di-­Bundesfachgruppenleiter für IT/DV auf Bundesebene und als Aufsichtsrat von T-Systems und der DATEV einen genauen Einblick in die Branche hat. Eine Auflistung der Sorgenkinder liest sich wie das Who’s who im IT-Markt: Hewlett-Packard entlässt bis 2015 weltweit 55 000 Beschäftigte und spaltet die Firma in zwei Teile auf. Microsoft streicht global 18 000 Stellen, davon aber bisher nur „eine zweistellige Zahl“ in Deutschland. IBM Deutschland baute in den vergangenen fünf Jahren fast  500 Jobs schleichend und ohne Kündigungen ab. Es bestehe die Gefahr, dass es bald statt früher 20 000 nur noch knapp die Hälfte IBM-Stammbeschäftigte hierzulande gebe, sagt Jäkel. Vor allem die „Classic IT“, die mit Programmierung über die Beratung bis hin zur Übernahme von IT-Abteilungen anderer Unternehmen einen Großteil der Geschäfte vieler Großer ausmachte, bereitet Probleme. „Es fehlt an Ideen, wie sich künftig Geld verdienen lässt. Jetzt wird überall versucht, im Bereich digitale Arbeit neues Potenzial zu erschließen, aber das geht sehr schleppend und bietet längst nicht in dem Maße Arbeitsplätze, wie sie bisher vorhanden waren“, erklärt Jäkel. „Niemand kann derzeit die Frage beantworten, welche Qualifikationen ein Beschäftigter in der Branche in Zukunft haben muss, damit sein Job einigermaßen sicher ist.“

SAP ENTLÄSST, ANSTATT UMZUSCHULEN

Was ist los? „Digitalisierung ist seit jeher unser Kerngeschäft, damit sind wir groß und erfolgreich geworden“, antwortet SAP-Betriebsrat Mario Rosa-Bian. Das Unternehmen war seit der Gründung 1972 der Treiber dafür, dass Firmen ihre Abläufe rationalisieren und so Kosten und Personal einsparen. Dass Geschäftsmodelle wegbrechen und neue entstehen, ist man hier gewohnt, macht Rosa-Bian klar, der es als erster Gewerkschafter und ver.di-Betriebsrat in den Aufsichtsrat, den EBR und den KBR der SAP SE geschafft hat. Aber nun soll auch hier rationalisiert werden. 

„Simplify and optimize“ – vereinfache und optimiere – heißt das Rationalisierungsprogramm, das bei SAP in Deutschland 260 Arbeitsplätze aus allen Bereichen kosten wird. Wer innerhalb von SAP zwangsversetzt oder wem betriebsbedingt gekündigt wird, sei nach „intransparenten Regeln“ entschieden worden, kritisiert Mario Rosa-Bian. Der Abbau bedeute auch nicht, dass SAP künftig weniger Mitarbeiter beschäftigen will. „Man baut einerseits ab, stellt andererseits aber wieder ein“, erklärt der Betriebsrat. „Ich finde es schräg, dass die Firma die Leute nicht umschulen will und sie lieber entlässt und ihnen Abfindungen zahlt. Mit diesem Geld könnte man alle Betroffenen auf neue Kompetenzen schulen.“ Der Software­gigant schichtet die Belegschaft offenbar daraufhin um, mit wem er glaubt, besser auf den Märkten der Zukunft bestehen zu können.

Überflüssig könnten bei SAP bald viele Berater werden. Das Unternehmen investiert im großen Stil darin, Daten-Clouds aufzubauen, um ein gewohntes Geschäftsmodell zu verändern: Statt eigens auf die Betriebe zugeschnittene Software zu verkaufen, stellt man sie den Kunden künftig per Abo in der Datenwolke zur Verfügung. „Bisher haben die Kunden bei uns beispielsweise für eine Finanzbuchhaltung oder ein Personaladministrationsprogramm Lizenzen gekauft und mussten dafür rund 20 Prozent Wartungsgebühr im Jahr zahlen“, erläutert Mario Rosa-Bian. „Die Betriebskosten dafür waren für die Firmen hoch.“ Nun setzt SAP auf einen Trend aus den USA. Die Idee: Teilen statt kaufen. „Die Software wird nicht mehr auf dem Rechner des Kunden betrieben, sondern läuft auf einem geschützten Server in irgendeinem Land der Welt“, so Rosa-Bian. Kunden nutzen gemeinsam die Software in der Cloud und legen die so gewonnenen Daten wie gewohnt individuell ab. 

Um das gefragte Cloud-Modell anbieten zu können, hat SAP in den vergangenen Jahren Cloud-Firmen aufgekauft. „Der Vorstand muss sich fragen lassen, aus welchen Gründen er nicht beizeiten dieses Cloud-Modell beauftragte“, kritisiert Rosa-Bian. „Wenn wir uns nicht in diesen Zukunftsmarkt einkaufen, besteht die Gefahr, dass bald niemand mehr unsere Software haben will. Sich anzupassen ist völlig alternativlos, damit wir nicht irgendwann als Dinosaurier untergehen.“ Wenn sich das Modell durchsetzt, wird SAP weniger eigene Berater brauchen, die bisher Kunden bei der Anpassung der gekauften Software helfen. Für Rosa-Bian stellt sich dann eine Frage: „Reicht die natürliche Fluktuation, um diesen voraussichtlichen Rückgang aufzufangen?“

ENDE DES KLASSISCHEN IT-GESCHÄFTS

Hans-Jürgen Kallmeier, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats und Aufsichtsrat der T-Systems International GmbH, macht sich keine Illusionen, dass im Laufe der Transformation, die sein Unternehmen durchläuft, alle Jobs dauerhaft gehalten werden könnten. 2014/2015 will T-Systems noch sozialverträglich über 4000 Stellen abbauen. Aber danach könnten noch viel mehr Arbeitsplätze verloren gehen, weil das Unternehmen den Rückgang des Geschäfts mit den klassischen IT-Dienstleistungen nicht einmal annähernd kompensieren kann, befürchtet Kallmeier. Ehemals gefragte Angebote­ wie das Outsourcing von IT kann heute die ausländische Konkurrenz viel günstiger anbieten. Für Wachstum sollen bei T-Systems Angebote für Vernetzung in Beruf und Alltag, für die Bereitstellung eines verlässlichen Netzes und Dienstleistungen rund um eine sichere Cloud sorgen. Innovative Ideen dafür treibt die neue Digital Divison (DD) voran. Große Hoffnung setzt man in die Entwicklung von technischen Plattformen in Zusammenarbeit mit Maschinenbau- und Automobilfirmen. Solch eine Plattform macht es mittels Big Data etwa möglich, dass ein Auto meldet, wann es das nächste Mal zur Wartung muss. Oder dass ein Chip in der Waschmaschine meldet, wenn sie Waschpulver braucht. 

„Wir bauen die technische Plattform, vernetzen die Geräte, bereiten die Daten auf und stellen sie den Kunden zur Verfügung“, erklärt Kallmeier. „Das Gerät bleibt eine Miele-Waschmaschine oder ein BMW, und diese Firmen behalten auch direkten Zugang zu ihren Kunden. Aber die Vernetzung der Information machen wir. Das können wir in Deutschland am besten.“ Auch der Trend, dass manche Firmen, wie Mercedes, ITK-Aufgaben nicht mehr an Dienstleister wie T-Systems auslagern, sondern wieder insourcen wollen, beunruhigt ihn nicht. „Sie werden diese Plattformen nicht allein machen können, denn dazu benötigt man Netze, um die Daten zusammenzuführen“, prognostiziert er. „Mercedes kann zwar eine Mercedes-spezifische Lösung bauen. Aber die Kunst ist ja, etwas mit unterschiedlichen Daten – etwa zu Logistik oder Navigation – zu vernetzen.“ Kallmeier ist Optimist, aber er befürchtet selbst für den Fall, dass alle von der DD beackerten Zukunftsfelder wie gewünscht aufblühen sollten, eine schlimme Beschäftigungslücke.

Ver.di-Fachmann Michael Jäkel sieht bei den strategischen Allianzen, wie T-Systems sie mit Maschinen- und Autobauern zurzeit eingeht, die Hauptchance dafür, in großen deutschen ITK-Unternehmen Beschäftigung zu sichern. „Es kommt darauf an, werthaltige neue Geschäftsfelder zu entwickeln“, sagt er. Die Konkurrenz ist internationaler denn je, und Google, Amazon und Facebook auch aufgrund geringer gesetzlicher Regulierungen auf vielen Feldern meilenweit voraus. „Es wird schwer, Deutschland perspektivisch als innovatives IT-Zentrum zu entwickeln“, glaubt er.

BUKAREST STATT BÖBLINGEN

Auf die Umwälzungen im Markt reagiert auch Hewlett-Packard mit drastischen Schritten. Der Konzern hat traditionell sein Geschäft mit dem Verkauf von Hardware an Endkunden gemacht und baute daneben durch Firmenzukäufe seine IT-Dienstleistungen aus. „Wir bieten alles, was notwendig ist, um für ein Unternehmen eine passende IT-Infrastruktur zu betreiben“, erklärt Ludwig Bauer, seit April neuer Vorsitzender des GBR. „Wir zeigen dem Kunden, wie er IT managen, gestalten und für deren Sicherheit sorgen kann, und haben die nötigen Geräte für ihn.“ Längst verschiebt auch HP Arbeit in Niedriglohnländer. War früher Böblingen mit rund 4000 Beschäftigten der größte europäische HP-Standort, ist es heute Bukarest. 

Kostengründe vermuten Arbeitnehmervertreter auch hinter der abrupten Schließung des Standorts Rüsselsheim 2013. Hier waren viele der 1100 Mitarbeiter mit der Administration von ausgelagerten IT-Tätigkeiten befasst, einer Dienstleistung, die aus dem Ausland billiger zu bekommen ist. Der Großteil der Mitarbeiter unterschrieb Aufhebungsverträge, über 100 wechselten zum größten Kunden, der Adam Opel AG, die IT-Aktivitäten wieder ins eigene Haus zurückholt.

Obwohl die Geschäfte in Deutschland laut Bauer „sehr gut“ laufen, werden hierzulande weitere der insgesamt 8000 HP-Arbeitsplätze verloren gehen. Der Konzern will seine Hardware- und Dienstleistungsschiene bis 31. Oktober 2015 in zwei börsennotierte Teile aufsplitten und davor 55 000 HP-Beschäftigte entlassen. Wie viele davon es in Deutschland sind, ist unbekannt. Insider vermuten, dass die deutschen Standorte nicht ungeschoren davonkommen, aber auch nicht überproportional betroffen sein werden. Der Betriebsrat rechnet nicht mit harten Abbaumaßnahmen, solange der Arbeitgeber damit beschäftigt ist, den Split zu organisieren. Davor schütze das deutsche Arbeits- und Mitbestimmungsrecht. Der GBR setze zurzeit alle Hebel in Bewegung, um mit juristischer Hilfe Nachteile für die Beschäftigten auf ein Minimum zu reduzieren. Man hofft darauf, dass HP nach der Aufsplitterung in ruhigeres Fahrwasser gerät und seinen Platz als ein weltweit führender IT-Dienstleister in einem völlig neu aufgestellten IT-Markt behaupten kann.

Quelle: magazin-mitbestimmung

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